Buchrezension von Antje RitterHaben Sie sich schon mal gefragt, warum Paketzusteller so sind, wie sie sind? Wenn ja, bietet das Buch "Sie kommen heute aber spät. 1280 Tage Paketzusteller-Wahnsinn" von Holger Schossig einige Antworten. Falls die Antwort auf die anfängliche Frage nein lautet, sollten Sie es trotzdem lesen. Die Männer und Frauen in Gelb, Braun und Blau sieht der Leser danach vielleicht in einem anderen Licht. Um sich in die Rolle eines Paketzustellers hineinzuversetzen, erklärt der Autor zuvor die Grundkenntnisse über den Job als Paketbote. Das Wichtigste: Der Kunde. Schossig entwirft eine Typologie des Menschen in seiner Funktion als Kunde. Dabei zeigt er die wichtigen Eigenschaften auf, die er anhand von Unterhaltungen und Reaktionen auf das gelieferte Paket kennenlernte. Bei einigen besonders speziellen Kundenexemplaren gibt Schossig noch amüsante Tipps im Umgang mit diesen. Als Beispiel ist der schlecht gelaunte Kunde zu nennen. Dieser öffnet die Tür mit einem "Was?" auf den Lippen. Weniger bekannt sind ihm die Floskeln der Höflichkeit. "Guten Tag", "Bitte", "Danke" oder "Auf Wiedersehen" finden die Paketboten hier nicht im Wortschatz. Schossig empfiehlt, diesen Kunden fünf Minuten später nochmals aufzusuchen und ihm das zweite Paket zu liefern. Mitten in der Pampa mit einem Paket Bevor das eigentliche Tagebuch beginnt, berichtet der Autor über allgemeine Begebenheiten, wie etwa die gesamte Stundenanzahl von Wartezeiten an Ampeln und an Haustüren. Auch die besten sinnfreien Fragen von Kunden, Gedanken zu den Farben der einzelnen Paketdienste oder die unterschiedlichen Zustellgebiete werden festgehalten. Letztere können schon mal in einem Wald ohne gefestigte Straße liegen. Der bekannte Fremde im Haus Das eigentliche Buch hält im klassischen Tagebuchstil die Höhepunkte des Arbeitsalltages von Schossig fest. Beginnend mit dem Tag der Arbeitsaufnahme bis zum wohlverdienten letzten Einsatz nach 1.280 Tagen Pakete ausliefern. Besonders amüsant verläuft der Tag 112. Überschrieben mit "Der unbekannte Nachbar" schildert Schossig, wie er versuchte, ein Paket für einen Kunden bei der Nachbarin abzuliefern. Die ausgewählte ältere Dame meinte, sie kenne den Herrn nicht und nehme nichts für Fremde an. Der Autor versuchte die Frau noch einmal zu überreden, als diese plötzlich antwortete: "Wissen Sie, der Herr ist nie zu Hause, und wenn er doch daheim ist, dann schleppt er immer eine andere Frau mit. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben." Danach schloss die Dame die Tür und ließ einen verblüfften Paketboten zurück. Die Kehrseite der Medaille Das Buch von Holger Schossig ist vor allem eines: menschlich. Er spricht von guten und schlechten Tagen und kritisiert zu Recht das Verhalten seiner Mitmenschen. Vor allem im direkten Kundenverkehr geschehen neben witzigen und kuriosen Geschichten auch viele Episoden in denen Freundlichkeit und Höflichkeit fehlen. Das Buch zeigt damit einige Auswirkungen des "Der Kunde ist der König"- Mottos. Auch die Arbeitsbedingungen, die in der Logistikbranche herrschen, sind weniger angenehm. Schossig berichtet von 14-Stunden-Tagen, bei denen die Überstunden weder gezahlt oder abgesetzt werden können. Krankheit zähle nicht, um daheim zu bleiben. Denn schließlich müssen die Pakete zugestellt werden. Um so mehr freut sich der Leser, wenn der Autor die "Tage des Wahnsinns" überstanden hat. Tragisch bis komisch Der Autor Holger Schossig, Jahrgang 1970, verfasste ein kurzweiliges, amüsantes, aber auch zum Teil anklagendes Buch aus seinem Alltag als Paketzusteller. Auf 155 Seiten schrieb der freiberufliche Redakteur seine Erlebnisse nieder. Das Buch richtet sich an alle Leser, die gerne einmal in die Welt eines Paketzustellers abtauchen wollen. Vielleicht findet sich auch der ein oder andere Leser in der Kundentypologie wieder. Das Buch ist über die Webseite des Autors www.holger-schossig.de erhältlich. Preis: 8,99 Euro / ISBN: 978-3-8442-5565-2